Edgar Knobloch
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Matthias Flügge,

Laudatio
zur Verleihung des
Friedrich-Schlie-Preises für Handzeichnung 2016
Staatliches Museum Schwerin
2016

Meine Damen und Herren,

in Abständen produziert Edgar Knobloch kleine Kataloge seiner Arbeiten.
Nur Abbildungen, keine erklärenden Texte. Auch keine Motti oder sonstigen
Bildungsbeweise. Doch zweien dieser durch Ringe gebundenen Hefte hat er
Titel gegeben. Eines heißt „sacrum et profanum“ und das andere: „Das
Rauschen der Zeit“. So nannte Ossip Mandelstam seine autobiografischen
Schriften, die 1925 erschienen sind, und es ist eine Metapher, die in besonderer
Weise auf die Zeichnungen von Edgar Knobloch zutrifft. Wer sich noch an die
Ära des schwarz weißen Fernsehens erinnert, wird es noch in Ohr und Auge
haben, dieses grau-weiß flimmernde Bildrauschen, das eine enorm passgenaue
akustische Rausch-Entsprechung hatte. Wenn man nur lange genug nach
Sendeschluss hinsah und –hörte, konnte dieses gleichsam elementare Rauschen
zum Quell vielfältiger Imagination anschwellen. Ich erzähle das, weil es mir
immer wieder, wenn ich Arbeiten von ihm sehe, so scheint, als kämen sie aus
eben jenem Rauschen, einem Hintergrundrauschen, in dem sich allmählich
Erinnerung Bahn bricht und Gestalt annimmt und zugleich auch wieder zu
verschwinden droht. Eine Erkennbarkeit in fragiler Balance. Und eine
mehrschichtige Verfremdung. Denn es ist offensichtlich, dass vielen dieser
Arbeiten Fotos zugrunde liegen, also anscheinend scheinbare Abbilder realer,
objektiver Dinge, Landschaften und Figuren. Also stillgestellte Realität. Aber
nicht irgendeine und auch keine durch die Medien vermittelte, wie sie Gerhard
Richter bevorzugt hat, sondern eben eine erinnerte. Eine, die einen
unmittelbaren Bezug zum Leben, zum Erleben und auch zur Lektüre des
Künstlers hat. Was da rauscht ist nicht eine abstrakte Zeit sondern die des
Künstlers, gleichsam eine gewordene Zeit, die es für ihn zu deuten gilt.
Adorno hat das in anderem Zusammenhang so beschrieben: „ Deutung, sagte
ich, ist Kritik an den stillgestellten Phänomenen dadurch, daß an dem
Stillgestellten die in ihm aufgespeicherte Dynamik, also daß Geschichte
an dem, was zweite Natur ist, enthüllt wird; aber andererseits auch
dadurch, daß das Gewordene den Schein seines Ansichseins verliert und
in seiner Gewordenheit dargestellt wird...“ Und weiter: „ Es gibt immer
diese Reziprozität, daß das, was als Natur scheint, als Geschichtliches
aufgedeckt wird, während oft andererseits das, was geschichtlich ist, als
ein Vergängliches in seiner Naturhaftigkeit sich erweist. Und hinter
diesem Moment steht eben die geschichtlich gewordene Dialektik von
Subjekt und Objekt, die nicht auf ihren reinen Begriff zu bringen sind.
Unmittelbarkeit zerstören heißt dabei soviel wie: das Ansichsein des
Gewordenen kritisch aufzulösen; den Anspruch aufzulösen, die
gewordenen Phänomene seien ganz und gar das, was sie sind.“

(Adorno, Theodor W. (2014): Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (1964/65),
Nachgelassene Schriften, Vorlesungen Band 13, Frankfurt a. M., S. 190f.)

Wenn Edgar Knobloch also zeichnend Berglandschaften malt, die „Sils“
oder „Bregaglia“ betitelt sind, so ist das Geschichtliche darin der in Sils
Maria denkend herumwandernde Nietzsche, der im Bergell geborene
Giacometti, Menschen also, die das „Ansichsein“ der Landschaft in Tat
und Gedanken aufgelöst haben und Natur als Geschichtliches kenntlich
werden lassen. Und wenn er andererseits etwa Details des martialischen
Barbarossa-Monuments am Kyffhäuser und dessen steinerne Strukturen,
nahe dem eigenen Geburtsort darstellt, so erweist sich Geschichtlichkeit
hier schon als naturhaft Vergängliches.

Dieser Dialektik hat Edgar Knobloch eine Form gegeben, man könnte fast
sagen, er hat sich ihr in Demut gestellt. Denn seine Art des malerischen
Zeichnens ist das Gegenteil von selbstgewisser Darstellung, vielmehr ein
Herausarbeiten der Vorstellung aus dem Grund des Papiers. Und aus dem
Rauschen einer unendlichen Fülle von Valeurs der beiden Nichtfarben Weiß und
Schwarz, die einander nicht nur nach Goethes Farbenlehre untrennbar bedingen.
Für Rudolf Steiner zum Beispiel war Schwarz das geistige Bild des Toten und
Weiß das seelische Bild des Geistes. Das wäre die Kehrseite, die gleichsam
metaphysische Dialektik des Rauschens.

Neben den Landschaften, den Monumenten, Bunkern und anderen
Architekturen, den Erinnerungen an die Großmutter Edith Elisabeth und den
Porträts hat sich der Bildersucher Knobloch immer wieder auch mit
Malereigeschichte befasst und aus ikonischen Werken einzelne Details
herausgelöst, wie zum Beispiel das Gesicht der rechten der drei Grazien auf
Botticellis „Frühling“ oder den corpus christi aus einer Grablegung. Auch dies
sind nicht etwa aktualisierte Nachschöpfungen historischer Werke, wie wir sie
von anderen Künstlern kennen und erst recht keine kopistischen Bemühungen.
Es geht dem Zeichner hier um eine transzendentale Erfahrung in der Begegnung
mit dem ursprünglichen Werk. Der Kunsthistoriker Max Imdahl hat einmal
davon gesprochen, dass „der Zuschauer, indem er das Bild erfährt, zugleich
seine eigene Erfahrung und damit sich selbst in neuer Weise erfährt“. Und wenn
nun der Künstler seine eigene Bild- und Selbst-Erfahrung an uns, seine
Betrachter weitergibt entsteht ein weiteres Glied in der Kette der Berührungen,
die Kunst zu einer eigenen Wirklichkeit macht.

Von den Bildern, die Edgar nach dem Vornamen seiner Großmutter Edith
Elisabeth betitelte, hat er gesagt, es handele sich „um Bilder aus der Welt von
Gestern mit Fangarmen in die Gegenwart“ und dabei auf Thomas Bernhard und
W. G. Sebald verwiesen, also auf Autoren, in deren Werk eben jene Fangarme
aus der Welt von Gestern eine konstituierende Rolle spielen.

In Edgars Zeichnungen können wir im Gestern einen Vor-Schein des Heute
erkennen. Im Vor-Schein ist etwas, das auftaucht, obwohl es noch nicht Realität
ist, etwas, von dem wir nicht wissen, ob es uns nur täuscht oder ob es ganz kurz
davor steht Wirklichkeit zu werden. So sind Knoblochs Bilder konzipiert, nicht
als Archäologien des Vergangenen sondern als Studien über diesen Vor-Schein
und damit auch über die Flüchtigkeit des Gesehenen. Man könnte auch sagen,
die Bilder haben etwas Virtuelles im ursprünglichen, nicht elektronischen Sinn
des Wortes. Wir können in ihnen Dinge lesen, die nicht in ihnen sind – oder eben
nur als Vor-Schein. Virtuos, und wer wollte ihm Virtuosität absprechen? – und
Virtuell haben ja den gleichen Wortstamm: virtus – Tüchtigkeit, Kraft – auch
Tugend, Moral. Das Virtuelle ist eine wirkmächtige Form des Möglichen, das zu
realer Entfaltung kommt, ohne wirklich zu erscheinen. Diese Ambivalenz des
Bildes, deren Untersuchung Knobloch betreibt, ist eines der bestimmenden
Forschungsfelder der gegenwärtigen Malerei. Edgar Knobloch hat es schon im
früheren Werklauf in verschiedenen Dimensionen ausgeschritten: zwischen
kalligrafischen Bildern, solchen reiner Struktur, die von Dichte und Offenheit,
Hermetik und Dekor handeln und solchen, die Erinnerungsfetzen aus den
Sedimenten der Materialität hervorbrechen lassen.

Was ist ein Bild? Die Frage steht hinter all seinem Tun – und dass er sie
gleichsam intuitiv verhandelt, ohne sie beantworten zu wollen, macht die
Aktualität seiner Arbeit aus. Denn was wir zur Zeit beobachten ist der Beginn
einer erneuten Vergewisserung handwerklicher und geistig-intellektueller
Qualitäten von Kunst. Zum Ende des Taumelns vermeintlicher Innovationen
gehört auch ein erneuertes Bewusstsein davon, dass die Kunst nicht die
Avantgarde der kulturellen oder sozialen Entwicklung abgeben kann – historisch
und vor der Wirklichkeit war sie immer, trotz mancher gegenteiligen Illusion
eine Arrièregarde, eine Nachzüglerin. Die Schwemme der durchpolitisierten
Biennalen wie die Explosion des Kunstmarktes in den vergangenen Jahren
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es neben vielen anderen Krisen auch
eine Krise der Kunst gibt. Nur hat die gefräßige Kulturindustrie sich diese
eigene Krise gegenwärtig vollkommen einverleibt.

Vielleicht ist es ja eine naive Hoffnung – aber welche unverzichtbare Hoffnung
wäre in diesen Zeiten nicht naiv? – dass die Kunst sich wieder als ein Medium
versteht, in dem – in welcher Form auch immer – die geistigen Fragen der Zeit,
die hinter den aktuellen, materiellen Gräueln scheinbar verschwinden,
verhandelt werden.
Und zwar als Kunst, die, wie immer wir diesen Begriff verstehen wollen, zuerst
eine Arbeit am Bild in einer Abstand wahrenden Analogie zur Wirklichkeit ist.
Edgar Knobloch, der Bilderfinder und Bild-Erfinder, soviel können wir sagen, ist
ein Künstler, der diesen Abstand auf seine ganz eigene Weise immer wieder zu
bestimmen sucht.

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